„Darf ich jetzt etwa nie wieder in die Schule?“ Mit dieser verzweifelten Frage ihrer Kinder sind derzeit bestimmt viele Eltern konfrontiert. Mit den Konsequenzen der politischen Entscheidung, dass etwa Erstklässler in einigen Bundesländern erst als Letzte und frühestens in einem Monat zurück in die Schule dürfen, fühlen sich Familien unverstanden und allein gelassen.
Dabei treibt viele Eltern nicht primär die Frage um, ob der Mathe- oder Lesestoff sauber sitzt. Es geht auch in den meisten Fällen nicht unbedingt darum, wie die Kinder am Vormittag wegorganisiert werden können, damit Berufs- und Familienleben wieder besser zusammenpassen. Diese Aspekte sind natürlich wichtig. Die zentrale Sorge der Familien betrifft aber, dass sich gerade die jüngsten Schülerinnen eingesperrt, von ihren Schulfreunden getrennt und ihrer ersten eigenen Bezugs- und Erlebniswelt Schule beraubt sehen. Diese Bedürfnisse und Rechte der jüngsten Schülerinnen nach eigenen sozialen Kontakten kann selbst ein behütetes Familienumfeld nicht ersetzen. Eine große Zahl junger Kinder droht aktuell zu vereinsamen und in Ihrer frühen Entwicklung nachwirkend eingeschränkt zu werden. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass die Familien für einige Kinder nicht der imaginierte Schutzraum ist und häusliche Aggressionen und intrafamiliäre Anspannungen leider erheblich zunehmen.
Schule ist mehr als ein Ort der organisierten Wissensvermittlung. Und Kinder sind keine Gefäße, die man mit dem Trichter zeitversetzt und nach Lage mal stärker und mal weniger mit Bildung befüllt. So trivial und bekannt diese Feststellungen auch sein mögen, so wichtig ist, dass sie auch von den politischen Entscheidern verstanden werden. Das Wohl und die Rechte der Kinder müssen zum Ausgangspunkt von Verwaltungshandeln werden und vor Verwaltungslogik und Schullogistik liegen.
Alle verstehen, dass wir in dieser besonderen Krisensituation uns und unsere Mitmenschen schützen müssen. Es ist richtig und wichtig, dass der Staat Schutzmaßnahmen ergreift. Es wäre nur wichtig, die Entscheidungsgrundlagen transparent zu machen und im Fall des späteren Schulbeginns für Erst- und Zweitklässler besser zu erklären. Gleichzeitig wäre zu wünschen, dass die Familien das Gefühl bekommen, dass im Sinne des Kindeswohls die Kreativität und Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer und auch der Eltern bei der gemeinsamen Suche nach alternativen Formen des Schulbesuchs eingebunden werden. Den meisten Grundschülern würde es völlig reichen, wenn sie für zwei Tage pro Woche und für ein paar Stunden am Tag in die Schule dürften, um sich weiterhin als geschätzter Teil der Schulgemeinschaft zu fühlen. Und was spricht gegen die Organisation von Kleingruppen, die sich dann auch digital an Aufgaben versuchen und über ihre Gefühle und Erlebnisse berichten könnten?
Gerade die jüngsten Kinder brauchen jetzt unseren besonderen Schutz und unsere präventive Fürsorge. Sonst werden wir alle in einigen Jahren wieder mit der unzureichenden Nachsorge beschäftigt und überfordert sein.
ZUM AUTOR
MAREK WALLENFELS
Sozialunternehmer aus Leidenschaft;
im Einsatz für Bildungsinnovationen und mehr Bildungsgerechtigkeit:
„Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ohne faire Bildungs- und Aufstiegschancen nicht zu haben.“